1968 Tunnel Rats:
Der Song "In the Year 2525" von Zager and Evans ertönt.
Ein Black Hawk schwebt über einem Fluss des vietnamesischen Dschungels. Die Kamera fährt über die Wasseroberfläche, darauf folgen Nahaufnahmen von Schlange, Ameisen und anderen Tieren, die zusammen mit wunderbaren Aufnahmen aus dem grünen Dickicht eine fast schon idyllische Atmosphäre erzeugen.
Schnitt - Szenenwechsel: ein junger, amerikanischer Soldat kriescht, mit Taschenlampe und Funkgerät ausgerüstet, durch einen engen, dunklen Tunnel. Staub liegt in der Luft, das Atmen fällt ihm schwer. Er greift zum Funkgerät: "Der Tunnel ist sauber!". Die Kamera fährt tiefer in das Erdreich hinein. Genau unter dem jungen Mann sitzt, versteckt in einem parallel verlaufenden Tunnel, ein Vietcong. Er zögert nicht und ersticht den Soldaten mit einer angespitzen Bambusstange. Blut fließt in das Gesicht des selber noch jungen Vietnamesen.
Beschrieben habe ich hier die ersten Minuten des Films und spätestens jetzt wird einem deutlich: wir schreiben das Jahr 1968 und befinden uns mitten im Vietnamkrieg. Uwe Boll beleuchtet mit seinem (Anti)Kriegsfilm "1968 Tunnel Rats" eine bestimmte Facette des Krieges, die so noch nie einem Film gezeigt wurde - nämlich den Krieg unter der Erde, die Tunnel von Củ Chi, mit deren Hilfe die Vietcong die amerikanischen Soldaten untergraben haben.
In diesem Film begleitet der Zuschauer eine Gruppe von amerikanischen Soldaten, welche die Tunnel "säubern" sollen. Eine wirkliche Story in Form von "wir müssen Soltad XY befreien" oder "wir müssen Lager XY der Vietcongs hochjagen" gibt es nicht. Manch einer wird daher sicherlich den roten Faden vermissen, der normalerweise durch derartige Filme führt. Ich persönlich fand diese fast schon dokumentarische und sehr realistische Erzählweise, ohne die typischen Helden und aus der Luft gegriffenen Storys, sehr angenehm.
Zu Beginn des Films werden die Charaktere eingeführt. Man begleitet sie einen Tag in ihrem Camp, lernt ein wenig über ihren Charakter, ihre Familien und Vorlieben kennen. Die Dialoge wurden allesamt von den Schauspielern improvisiert. Uwe Boll wollte, dass sie sich eine eigene Lebensgeschichte ausdenken, um ihre Figur so besser rüberbringen zu können. An sich eine sehr gute Idee, die auch einigermaßen gut funktioniert. Leider haben die unbekannten Jungschauspieler wohl etwas zu häufig "Apocalypse Now" oder "Platoon" geschaut und bedienen sich reichlich aus der "Was Soldaten sich so erzählen"-Klischeekiste. Die Dialoge sind somit sehr simpel und vereinzelt sogar sinnbefreit geraten, jedoch denke ich mir, dass die Soltaden, die damals wirklich dort waren, genau über solche Dinge gesprochen haben. Über was, außer Familie, Weiber und die Gott soll man sich in ihrer Situation denn auch sonst unterhalten? Trotzdem hätte man den Charakteren hier ruhig noch etwas Tiefe verleihen können, so wirken sie doch alle etwas eindimensional und in gewisser Weise "langweilig".
Schauspielerich können jedoch alle überzeugen, was wohl auch daran liegt, dass Boll die gesamte Crew für einige Tage zu echten Söldnern gebracht hat, wo sie sozusagen aus erster Hand etwas über das Thema Krieg und wie man sich in diesem Verhält lernen konnten. Zusätzlich wurden die Schauspieler für mehrere Stunden eingegraben oder in einem Tunnel eingesperrt, um am eigenen Leib diese Platz- und vielleicht sogar Überlebensangst zu erfahren. Boll wollte den ganzen Film nämlich so realistisch wie möglich gestalten - die auf der Leinwand gezeigten Emotionen und die Panik in den Tunneln sind also höchstwahrscheinlich sehr viel realer, als man glaubt.
Die ersten 30 Minuten, die noch komplett im Basislager spielen, kommen dem Genrefan, wegen der oben erwähnten Schwächen bei Dialogen und Story, sicherlich bekannt vor und reißen noch keine Bäume aus. Das ändert sich jedoch schlagartig, als die Soldaten das erste Mal einen Tunnel betreten. Selten hat man eine intensivere Atmosphäre in solch einem Film gesehen. Boll hat auf eine großartige Ausleuchtung der Tunnel, sowie viel Musik verzichtet. Der Zuschauer sieht und hört also nur das, was auch der Soldat im Film sieht beziehungsweise hört. Diese Tatsache macht die Tunnelszenen äußerst spannend und bedrückend. Auch die von den Vietcong verwendeten, "Booby Traps" gennanten, Fallen in den Tunneln, sowie deren häufig blutigen Auswirkungen, wurden realistisch und detailgetreu in den Film eingebunden. Simple Sprengfallen oder Falltüren mit darunter angebrachten Bambusspießen sind hier erst der Anfang.
Hier hat Uwe Boll wirklich großartige Arbeit geleistet. Die ganze Tunnelthematik wurde fast schon innovativ und mitreißend in Szene gesetzt und macht "Tunnel Rats" zu einem wirklich intensiven Erlebnis für Genrefans.
Überhaupt kann die Inszenierung des Films überzeugen. Die Kamerafahrten und Tieraufnahmen zu Beginn sind wunderschön, die Action an der Oberfläche ist hart und kommt durch schnelle Schnitte und Wackelkamera in Fahrt und in den Tunneln sorgt eine ruhige Kamera, lange Einstellungen und vor allem die grandiose Geräuschkulisse für eine dichte Atmosphäre. Eine Szene, in der sich ein Soldat seinen Weg freischneiden muss, ist mir hier ganz besonders im Gedächtnis geblieben.
Auch die Effekte können sich sehenlassen. Es gibt so gut wie keine CGIs, alle Effekte, von Explosionen bis hin zu einstürzenden Tunneln, sind handgemacht, was deutlich zum Filmerlebnis und Realismus beiträgt. Wenn man es nicht weiß, würde man nicht darauf kommen, dass dieser Film von Uwe Boll gedreht wurde. Den trashigen Look, die simplen Schnitte oder billig wirkende Effekte, das alles hat "Tunnel Rats" abgelegt. Man kann ihn wirklich nicht mehr mit Bolls früheren B-Movie-Werken vergleichen.
"1968 Tunnel Rats" ist ein waschechter Kriegsfilm, der realistisch, sehr intensiv und vor allem einmal neutral daherkommt. Boll beleuchtet beide Parteien (Amerikaner und Vietnamesen), ohne eine davon in irgendeiner Form zu bevormunden. In diesem Krieg beziehungsweise in diesem Film gibt es keine Helden, keinen an den Haaren herbeigezogenen Plot oder andere Hollywood typische Storyelemente - in "Tunnel Rats" wird lediglich gezeigt wie extrem hart und unmenschlich der Krieg doch ist. Besonders passend und lobenswert fand ich hier mal wieder das für Boll mittlerweile typische "Unhappy End", das sicher nicht jedem Gefallen wird, den Film aber glaubwürdig und skrupellos beendet.
Manch einem werden die sozusagen nicht vorhandene Story und die simpel gestrickten Dialoge negativ auffallen, was ich auch verstehen kann. Hier und da nimmt das Ganze dem Film sicherlich etwas Wind aus den Segeln. Auch ein paar, jedoch nur sehr wenige, fehlplatzierte Schnitte sind mir aufgefallen und das erste Filmdrittel strotzt nur so vor Klischees. Trotzdem hat mich dieser Film von Anfang bis Ende überzeugt und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich Fan bin. Einen solch dramatischen Kriegsfilm gibt es nicht häufig zu bestaunen. Boll hat dazugelernt, einen handwerklich grandiosen Film abgeliefert, der zwar Inhaltlich ein wenig schwach auf der Brust ist, es aber trotzdem mit bekannten Hollywoodproduktionen, wie "Platoon" aufnehmen kann. Genrefans sollten dem guten Dr. nochmal eine Chance geben. Ich hoffe, dass er für diesem Film endlich mal mit ein paar positiven Kritiken und Wertungen belohnt wird (was bis jetzt ja auch so aussieht) und vergebe, ernst gemeinte:
8/10 Punkte