Schießen und schlagen zum Vergnügen
Experte: Spiele kein Vorbild für Konfliktlösungen
Klemmt sich der unbedarfte Computerspieler hinter eine Konsole und wirft ein Spiel, sagen wir "Perfect Dark Zero", an, ist er in etwa zehn Minuten locker zwölfmal getötet. Das steht auch in der Leiste, unten am Bildschirm, weil die Anzahl der Tötungen die Anzahl der Punkte ergibt. Selbst hat man vielleicht einen Spieler abgeballert, aber den eher zufälligerweise, weil es einiges an motorischem Geschick bedarf, sich zielorientiert in der Spieleumgebung zu bewegen.
Ran an die Waffen
"Perfect Dark Zero" ist ein ab 16 Jahren zugelassenes Spiel für die Xbox und steht hier nur stellvertretend für eine ganze Reihe von PC- und Konsolengames. Das Spiel ist ein so genannter Egoshooter, der sich zusätzlich der Möglichkeiten von Vernetzung bedient. Das heißt: Der Spieler schlüpft in eine Figur und spielt in einer (meist sehr großen) Umgebung, etwa einem Dorf oder Fabriksgelände. Er kämpft in dieser Umgebung immer aus seiner persönlichen Sicht; das heißt er sieht den Ausschnitt der Spieleumgebung, zu der er seine Spielefigur hinwendet. Er wechselt seine Waffen nach Bedarf.
Eine reale Person
Die Spielefiguren, gegen die man antritt, sind insofern "echt", als eine online zugeschaltene "reale" Person dahintersteht, die ebenfalls ihre Spielefigur dirigiert. Bei dieser "Online-Spielegemeinschaft" kommt es also dank Internet-Breitband und sonstiger feinster Technik zu einer Art Realismus, jedenfalls was den Kampf betrifft. - Dass man einen Gegner mehrfach umlegen kann/selbst mehrfach umgelegt wird, tut diesem Realismus keinen Abbruch.
"Der Markt will es"
Die Technik selbst würde viele Möglichkeiten etwa bei Strategiespielen ergeben. Nicht, dass es solche Games nicht gibt, aber mehrheitlich rinnt die Kraft der "Kreativbranche", wie sich die Spieleindustrie gerne nennt, halt in Egoshooterspiele à la "Perfect Dark Zero". Die dazu gerne gelieferte Begründung: Der Markt will es.
Dieser Markt mit seinen oft gefeierten Wachstumsraten besteht mehrheitlich aus jungen Männern, von rund 15 Jahren aufwärts. Der durchschnittliche Spieler ist derzeit 29 Jahre alt, sagt die Spielebranche.
"Killerspiele"
Das irritiert, etwa die neue konservative Regierung in Deutschland, die das Problem unter "Killerspiele" subsumiert und in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Etwas hilflos, wie wohlmeinende, doch überforderte Erwachsene angesichts des Phänomens häufig sind, wird dort angekündigt, dies wegen der "rasanten Entwicklungen im Bereich Neue Medien" zu evaluieren. Etwa, ob die auf den Spielen angegebenen Altersbeschränkungen überhaupt stimmen. Oder, ob - wie beim Alkoholverkauf - Altersbeschränkungen wirken.
Konfliktlösungsmodelle
Der Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger vom neurologischen Zentrum Rosenhügel hält die Konfliktlösungsmodelle, die Kinder, Jugendliche und Halberwachsene mit dieser Art von "realitätsnahen" Spielen vermittelt bekommen, für problematisch. Berger: "Natürlich können Spieler zwischen Fantasie und Wirklichkeit eine Grenze ziehen. Aber es wird vermittelt, dass man Probleme auf sozialer Ebene in einfacher Weise - durch Aus-dem-Weg-räumen - lösen kann."
Der Fall des Erfurter Schülers, der nach dem Muster eines Computerspiels Lehrer und Schüler niedermähte, ist also nicht die Regel, aber die Spitze eines Eisbergs in Bezug auf ein antrainiertes, bei Realospielen erfolgreiches Verhaltensmuster.
"Verbote nutzen nichts"
Korrekterweise wird argumentiert, dass ein generelles Verbot solcher Spiele nichts nützt, nicht in Zeiten von Online-Shopping. Korrekterweise wird argumentiert, dass Spielen immer siegen über andere bedeutet, selbst bei Mensch-ärgere-dich-Nicht.
Auch tut sich technisch einiges: Auf der neuen Xbox 360 lässt sich eine auf das Spiel bezogene Altersgrenze einstellen; der Netzwerkspezialist Cisco bietet Providern eine Kontrollmaschine namens P-Cube an, mit der die Kunden von Providern genau bestimmen können, welche Games sie wie lange in Anspruch nehmen wollen.
"Medienkompetenz"
Um so etwas nutzen zu können, braucht es aber "Medienkompetenz". Im Spielemagazin GameStar wird auf eine Untersuchung der Universität Bielefeld verwiesen, wonach 86,5 Prozent aller Mütter und 70,7 Prozent aller Väter noch nie mit ihren Sprösslingen am Computer gespielt haben. Also null Ahnung über das haben, was da abgeht.
(Johanna Ruzicka/DER STANDARD, Printausgabe vom 13.12.2005)