Das U.S. Naval Research Laboratory und die kanadischen Kollegen hatten den Meeresboden vor der Westküste Kanadas mit besonders genauen seismischen Messungen durchleuchtet. Dabei stellten sie fest, dass die untere Grenze der methanhydrathaltigen Zone keine glatte Fläche, sondern überraschend rauh ist.
Der eisförmige Stoff Methanhydrat, eine so genannte Käfigverbindung aus aus Wasser und dem Treibhausgas Methan, ist bei hohem Druck und niedrigen Temperaturen stabil. Am Meeresboden sind solche Bedingungen ab etwa 300 Metern Tiefe gegeben. Das eisförmige Hydrat durchsetzt den Meeresboden teilweise einige hundert Meter tief. Da es in der Tiefe immer wärmer wird, ist das Hydrat ab einer gewissen Tiefe nicht mehr stabil, so dass unterhalb der Methanhydratschicht freies Methangas existiert.
Die Forscher wiesen jetzt nach, dass das Gas an einigen Stellen in kaminförmigen Schloten bis zum Meeresboden vordringen kann. Zwar war auch schon vorher vermutet worden, dass Methangas entlang von Verwerfungen aus großen Tiefen nach oben dringen kann, allerdings blieb rätselhaft, wieso das Gas innerhalb der Zone, in der Methanhydrat stabil ist, nicht zu dem brennbaren Eis gefriert. Die Beobachtungen von den Forschern zeigen, dass offenbar genug warmes Gas nach oben dringt, damit die Schlote nicht verstopfen.
Wegen der größeren Oberfläche, so schreiben die Forscher, befinde sich mehr Methanhydrat als gedacht in der Nähe der Stabilitätsgrenze. Wenn der Meeresspiegel - was derzeit nicht erwartet wird - sinkt oder die Wassertemperaturen am Meeresboden steigen, könnte die Auflösung des Methanhydrats schneller vonstatten gehen als bislang vermutet. Allerdings scheint die Gefahr, dass es dabei zu explosionsartigen Gasausbrüchen kommt, geringer zu sein als befürchtet. Die Kamine dienen vermutlich als Ventil für das Gas, so dass es sich nicht unter dem Meeresboden aufstauen kann.
Zeitbombe im Meeresboden
Wenn sich zwei Allerweltsstoffe - Wasser und Methan - vereinigen, entsteht brennbares Eis: das Methanhydrat. Im Meeresboden sind große Mengen des sehr labilen, sehr energiereichen Stoffs enthalten, der sich als unschätzbar wertvolle Energiequelle erweisen könnte. Aber auch als Unheilsbringer, der Methan direkt in die Atmosphäre freisetzt und, so fürchten Forscher, womöglich den Treibhauseffekt dramatisch anheizt.
Der wachhabende Offizier auf der Brücke sah die weißen Klumpen zuerst, die bis kühlschrankgroß auf den Wellen schwammen und wild schäumend kleiner wurden. An Bord des deutschen Forschungsschiffes Sonne, das im Sommer 1999 vor der Küste des US-Staates Oregon kreuzte, wusste jeder, was das war: Methanhydrat, ihr Forschungsobjekt, das in ungeheuren Mengen in Meeresböden vorkommt.
Der eisartige Stoff ist eine Verbindung aus Wasser und Methan, dem Hauptbestandteil des Erdgases. Als verheißungsvolle Energiequelle, vor allem aber als Klimafaktor ersten Ranges haben Geowissenschaftler das Methanhydrat zunehmend ins Visier genommen. Denn das Methan, das beim Zerfall des Hydrats freigesetzt wird, ist ein hochwirksames Treibhausgas. Auf der "Sonne" ging es darum, die Bedingungen zu untersuchen, unter denen die sehr labile Substanz sich im Meeresboden bildet und wieder zersetzt.
Niemand zuvor hatte beobachtet, dass Methanhydrat an die Wasseroberfläche aufsteigt und, schnell zerfallend, Methan direkt in die Atmosphäre freisetzt. "Wir waren sehr überrascht", sagt Fahrtleiter Erwin Suess vom Forschungszentrum für marine Geowissenschaften (GEOMAR) in Kiel, "und haben diesen spannenden Vorgang umgehend dokumentiert."
Drei Jahre zuvor hatten die Kieler schon einmal Aufsehen erregt, als es ihnen gelang, mit einem großen videogesteuerten Greifer rund einen Zentner Methanhydrat vom Meeresboden in 785 Meter Tiefe an Bord zu holen . Die brausenden Brocken wurden in Tiefkühlgefäßen konserviert und später erstmals auf ihr Gefüge und ihre Kristallstruktur untersucht. Weil Hydrat unter normalen Bedingungen rasch zerfällt, konnten bis dahin lediglich winzige Stücke geborgen werden.
Das ungewöhnliche Eis hingegen bildet sich schnell bei tiefen Temperaturen und hohem Druck, sofern gleichzeitig reichlich Methan aus dem Abbau organischer Substanz durch Bakterien vorhanden ist. Im Kristallgitter des gefrorenen Wassers sitzen die Methanmoleküle wie in Käfigen. Ein einziger Kubikmeter Methanhydrat speichert dabei bis zu 164 Kubikmeter Methan. Dank seines hohen Methangehalts brennt dieses kuriose Eis.
In den Labors schon länger bekannt, wurde es in freier Natur zuerst in den 1930er Jahren als Ursache von Verstopfungen in Gaspipelines entlarvt. Obwohl dort kein hoher Druck herrscht, kann sich Methanhydrat wegen der tiefen Wintertemperaturen bilden.
In den sechziger Jahren fand man Methanhydrat in den Permafrostgebieten Sibiriens und Nordamerikas. Dass es auch in Meeresböden vorkommt, vermuteten amerikanische Geophysiker in den siebziger Jahren nach seismologischen Untersuchungen vor der Südostküste der USA. Tatsächlich förderte das Tiefseebohrschiff Glomar Challenger dort 1980 ein winziges Stück zu Tage - das meiste Hydrat im Bohrkern war allerdings bereits zerfallen, als dieser an Bord kam.
Danach wurde Methanhydrat an vielen Stellen in den Ozeanen nachgewiesen und kartiert. Rund um die Erde findet es sich an den Kontinentalhängen, wo relativ flache Schelfmeere in die Tiefsee übergehen, in einigen hundert Metern Wassertiefe. In Schelfmeeren ist für die Bildung von Methanhydrat die Temperatur in der Regel nicht tief und der Druck nicht hoch genug. In der Tiefsee wiederum fehlt es an organischer Substanz und daher auch an Methan.
An den Kontinentalhängen durchsetzt Methanhydrat die Sedimente einige hundert Meter tief, bis in den Bereich, wo aus dem Erdinnern aufdringende Wärme eine Hydrat-Bildung verhindert. Nach groben Schätzungen ist in marinem Methanhydrat doppelt soviel Kohlenstoff gebunden wie in allen bekannten Erdgas-, Erdöl- und Kohlevorkommen zusammen - ein ungeheures Energiepotential.
Doch von ungleich größerer Bedeutung sind die Auswirkungen, die Methanhydrat für das irdische Klima hat. Jedes Molekül Methan in der Atmosphäre bewirkt einen 30-mal stärkeren Treibhauseffekt als ein Molekül Kohlendioxid.
Experten befürchten daher, dass ein durch exzessive Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas ausgelöster Treibhauseffekt durch Methan aus dem Hydrat dramatisch verstärkt wird. Sobald nämlich an der Oberfläche erwärmtes Wasser in die Tiefe vordringt, zersetzt sich der labile Gasspeicher.
Einen Modellfall dafür sehen Hydratforscher in dem weltweiten Klima-Ausrutscher vor 55 Millionen Jahren. Damals stieg die Temperatur an Land wie in den Ozeanen relativ plötzlich an. Zahlreiche Arten, insbesondere von Foraminiferen, einzelligen Urtierchen im Meer, starben aus. Vermutete Ursache: Methan aus dem Zerfall von Hydrat.
Nach dieser Theorie setzte eine Erwärmung des Meerwassers aus noch unbekannter Ursache dem eisartigen Stoff zu, der die lockeren Sedimente an den Kontinentalhängen verfestigt hatte. Es kam zu Rutschungen, die weiteres Hydrat dem Angriff des Wassers preisgaben. In die Atmosphäre gelangt, verstärkten Methan und das daraus entstehende Kohlendioxid die Erwärmung.
Ende 1999 untermauerten Wissenschaftler aus den USA, von der Universität Bremen und aus Australien diese Hydrat-Theorie. Sie berichteten über einen Bohrkern aus dem Atlantik östlich von Florida, an dem sie entscheidende Elemente der Theorie in passender Abfolge nachweisen konnten: unter anderen die Temperaturerhöhung sowie das große Sterben der Foraminiferen.
Um durch Methanhydrat stabilisierte Hänge ins Rutschen zu bringen, bedarf es keiner globalen Erwärmung. Schon die Verlagerung einer Meeresströmung kann örtlich erhebliche Auswirkungen haben. Zunehmend hegen Forscher auch den Verdacht, dass Hydrat im Spiel ist, wenn nach starken Seebeben Hänge rutschen. Wird bei einem Beben Meeresboden angehoben, verringert sich der Druck des darüber stehenden Wassers und das ganze Paket wird womöglich in wärmeres Wasser gehievt - mit der Folge einer raschen Reaktion des Methanhydrats. Große untermeerische Rutschungen können Tsunamis - verheerende Flutwellen - auslösen.
Amerikanische Forscher haben dem Methanhydrat sogar am Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren einen bedeutenden Anteil zugeschrieben. Nach dem Szenario der Wissenschaftler rasten beim Einschlag des riesigen Meteoriten, dessen Folgen die damaligen Herrscher der Erde zusammen mit vielen anderen Arten erledigten, Schockwellen um die Erde und brachten gewaltige Mengen Methanhydrat zum Schmelzen. Blitze entzündeten das in die Luft verströmte Gas und setzten die Atmosphäre in Brand.
Schließlich das Bermuda-Dreieck: In dem Meeresgebiet zwischen den Bermuda-Inseln, Florida und Puerto Rico sind immer wieder Schiffe und Flugzeuge auf mysteriöse Weise verschwunden. Spielte auch dabei Methanhydrat eine Rolle? Jedenfalls geisterte folgende Vorstellung durch die Medien: dass die Schiffe versunken seien, weil das durch Methangas-Eruptionen aufgewühlte Wasser nicht mehr getragen habe, und die Flugzeuge abgestürzt seien, weil die Motoren in den Methanwolken Feuer gefangen hätten.
Macht die Beobachtung, dass zuweilen ganze Methanhydrat-Blöcke zur Wasseroberfläche aufsteigen, solche Vermutungen glaubhafter? "Von der Menge her war das viel zu wenig, um ein Schiff zu gefährden", sagt Suess, "aber da wir den Mechanismus erstmals direkt beobachtet haben, können wir nun eher mal darüber spekulieren."
Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von »Yuri« (15. August 2005, 04:26)